Samstag, 5. November 2016

Höhen und Tiefen

In jedem Leben gibt es sie, die Höhen und Tiefen. 
Mal mehr, mal weniger ausgeprägt, teilweise nur sehr flüchtig, oft aber auch langanhaltend. 
Bei mir sind es gerade die Tiefen, die langanhaltend sind, mit kleinen Höhen, aber auch immer wieder einem tiefen, langen Fall.
Woran das liegt?
Zum einen, wie schon angesprochen an der wenigen Arbeit, die wir hier haben und auch an der Tatsache, dass unsere Organisation es manchmal scheinbar nicht so wirklich interessiert, ob wir was machen oder nur rumsitzen.
Zu dem kommt noch hinzu, dass meine Organisation ja in einer sehr muslimischen Gegend ist, wo 95% Muslime leben. Wer sich einmal mit den Heirats- und Scheidungsregeln im Koran auseinandergesetzt hat, ist vielleicht schon einmal über die Wörter "Triple Talaq" gestolpert. Wer davon noch nie gehört hat, kann sich vielleicht meine Verwunderung vorstellen, die das Thema mit sich bringt.
"Triple Talaq" bedeutet, dass ein Mann dreimal "talaq" sagen kann und so, ohne weiteres, von seiner Frau getrennt ist. Die Worte kann er in ihrem Beisein sagen, aber auch per SMS schreiben und sogar in ihrer Abwesenheit, trotzdem aber in Gegenwart von Zeugen, sagen. Somit ist die Frau von ihrem Mann getrennt, einfach so, was meistens zu erheblichen Problemen für die Frau führt. Die meisten müssen von heute auf morgen anfangen zu arbeiten und haben ja auch meistens alle noch Kinder zu versorgen.

Unsere Organisation möchte diese Regelung außer Kraft setzten, wobei ich erwähnen sollte, dass Triple Talaq schon seit längerem in der Diskussion steht. Nun hat sich die Lage etwas sehr zugespitzt, da eine andere Organisation, der unsere Organisation mitangehört, ein Statement abgegeben hat, welches eher danach klingt, dass sie komplett den Islam abschaffen wollen. Unsere Organisation hat nun damit zu kämpfen, alles richtig zu stellen, da besonders die Arbeit, die in der umliegenden Gegend geschieht, unter den Folgen des Konflikts leidet.
Unsere Mitarbeiter haben ja so schon ziemlich viel Angst um uns und meinten, dass wir in den nächsten Wochen abends nicht mehr unterwegs sein sollten.
Ich dachte mir nur, was soll das? Und vor allem, wie soll das denn weitergehen? Sollen wir unsere sowieso schon eingeschränkte Freiheit bei jedem Problem, was irgendwer mit unserer Organisation hat, noch weiter einschränken? Dann könnte man uns auch gleich einsperren...

Zumal man sich vorstellen muss, dass ich nach dem Arbeiten in der Teestube meistens irgendwann zwischen 0 Uhr und 7 Uhr morgens alleine durch Weimar gen Zuhause geradelt bin, eine unmögliche Vorstellung für die hier Lebenden.
Gerade Caterina und ich sind es gewohnt, abends und nachts die Möglichkeit gehabt zu haben, alleine unterwegs zu sein, ohne das uns was passiert, oder das wir irgendwas fürchten mussten.

Danach gab es Momente, wo ich mir ernsthaft Gedanken darüber gemacht habe, ob ich hier bleiben will und was sich verändern muss, damit ich hier weiter leben kann.
Es macht nun mal keinen Sinn, sich ein Jahr lang zu verstellen, zumal es ein beidseitiger Kulturaustausch sein sollte und nicht eine komplette Lebensanpassung unsererseits. Natürlich ist uns klar, dass es hier komisch ist, wenn Mädchen/junge Frauen alleine in der Dunkelheit unterwegs sind, aber erstens wird es hier gerade vor 18 Uhr abends dunkel und zweitens kennen sich hier eigentlich alle irgendwie und deshalb ist es eher unvorstellbar, dass uns irgendwas passiert.

Man wünscht sich in solchen Momenten einfach, ein Junge zu sein, da ich/wir wissen, was für Möglichkeiten die Jungs hier haben und was sie einfach alles machen können.

Glücklicherweise habe ich ja hier noch Caterina, mit der man wunderbar über alles sprechen kann und auch Linus und Henryk, die zwar in Tikiapara, Howrah leben, die zwar nicht die gleichen Probleme haben wie wir, einfach da sie Jungs sind, aber ebenfalls mit Problemen konfrontiert werden, über die man sich austauschen kann und gemeinsam eine Lösung finden kann. Oder einfach nur seelische und moralische Unterstützung bei den beiden findet.

Ich hatte das mit dem Kulturaustausch ja bereits ein bisschen angesprochen, der teilweise sehr einseitig passiert. Natürlich nehmen wir mehr von der indischen Kultur mit, da wir uns ja für ein freiwilliges Jahr entschieden haben. Allerdings hatte ich in letzter Zeit das Gefühl, dass die Einseitigkeit noch mehr hervorgetreten ist. Es ist einfach irgendwie komisch, wenn einem ständig gesagt wird, wie schön man doch in indischer Kleidung aussieht und dann auch, wie indisch man ist. Und das finde ich schade... Natürlich finde ich die indische Kleidung echt schön und teilweise auch sehr praktisch, aber unsere "deutsche" Kleidung ist jetzt auch nicht super häßlich oder so. 
Und ja, wir sind nun mal Deutsche und genießen es auch mal, nur in Tshirt und weiter Hose rumzulaufen, anstelle von einem kompletten Salmar Kamez.

Aber gut... Die Unterschiede mit der Hochzeit in Deutschland im Vergleich zu Indien, sowie mit dem Kinder bekommen, haben wir schon recht häufig erklärt, inwieweit die Mitarbeiterinnen es hier verstanden haben, wissen wir nicht genau, aber sie probieren es, auch wenn es für sie schwierig sein muss. Die meisten Menschen, besonders auf dem Land, heiraten nach wie vor eine Person, die ihre Eltern ausgesucht haben, manche lernen sich vor der Hochzeit noch kennen, andere gar nicht. Das ist wiederum für mich komisch und ich persönlich würde es nicht so ganz wollen.
Mit einer Mitarbeiterin, die im Januar heiraten wird, haben wir uns darüber unterhalten, sie scheint allerdings nicht so glücklich darüber zu sein. Daran können wir zwar nichts ändern, aber für mich ist es schön, dass sie uns das erzählt hat. Die anderen sagen alle, dass sie glücklich sind und/oder sich daran gewöhnt haben. Aber gut, es ist, wie es ist....

Ich persönlich wünsche mir mal wieder eine Zeit, die schön ist und wo vor allem die tiefsten Tiefs nicht mehr dabei sind. Auf der einen Seite bin ich zwar ein sehr, sehr positiver Mensch, aber "hasse" mich manchmal meiner positiven Gedanken wegen. Und verliere auch teilweise meine positive Grundeinstellung dem Leben gegenüber... Und das darf einfach nicht passieren!
Zumal es echt deprimierend ist, wenn man sich die ganze Zeit fragt, was man hier macht, von den Orten träumt, wo man sein könnte und das gesamte Leben und vorallem das Jahr an sich in Frage stellt.

Wahrscheinlich sollte ich mir wirklich ein eigenes Motorrad zulegen, um die Möglichkeit zu haben, einfach rauszukommen und allem ein bisschen zu entfliehen.
Ob ich dann anstelle mit dem Flugzeug mit dem Motorrad Richtung Deutschland fahren werde, weiß ich noch nicht, der Sicherheit und der Länder wegen, durch die ich/wir müssten und die es einem einreisenden Motorrad nicht gerade einfach machen. Aber zuerst wird Caterina und Linus das Motorradfahren beigebracht, Scootyfahren kann Caterina schon. 

Und zu allererst geht es zu einem Meeting mit dem Zug nach Neu Delhi:)
Wovon ich dann am Ende der Woche berichten werde:)

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